Helga Traub

'Mi dica!' oder auf deutsch: Was kann ich für Sie tun?Mi dica - Übersetzen, Dolmetschen, Lektorat, RedaktionMi dica - traduzioni, interpretariato, revisione testi, redazione

Übersetzen - ein Prozess

Klagen über schlechte Übersetzungen sind sehr verbreitet. Warum eigentlich klingen übersetzte Texte oft unbeholfen und fremd, selbst wenn der Übersetzer jedes ihm nicht vertraute Wort recherchiert, seinen Sinn im gegebenen Textzusammenhang richtig verstanden und noch dazu nicht etwa in die Fremdsprache, sondern in die eigene, ihm von Kindesbeinen an vertraute Muttersprache übersetzt hat?

Bei der Übertragung eines fremdsprachigen Textes ist diese Fremdsprache, in die der Übersetzer eintaucht, um den Textsinn zu erfassen, noch so präsent, dass sie das normalerweise zuverlässige, sichere Sprachgefühl für die grammatisch und stilistisch passende deutsche Formulierung verbiegt. Fremde Bauformen schieben sich über die eigene Muttersprache, stellen deren Regeln in Frage.

Sprachwissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen der Überlagerung, diesen Einfluss einer Sprache auf eine andere, im Bewusstsein ebenfalls präsente Sprache als "Interferenz". Um Interferenzen zu entgehen, muss der Übersetzer von der Fremdsprache, deren Präsenz ihm das Textverständnis ermöglicht hat, Abstand nehmen: Er lässt seine deutsche Erstfassung zunächst ruhen. Dann baut er sie um, überträgt also seinen Entwurfstext in richtiges und gut klingendes Deutsch, und zwar zunächst ohne den fremdsprachigen Ausgangstext erneut heranzuziehen. Er stellt übrigens dabei erleichtert fest, dass ihm der Sprachschatz seiner Muttersprache prompt wieder in vollem Umfang zur Verfügung steht: die Synonyme und Antonyme purzeln, alternative Satzbaumuster bieten sich an, ein Wort ergibt das andere.

"Gehe fort, damit ich bei dir sei!" Max Frisch beschreibt mit diesen Worten ein paradoxes Phänomen zwischenmenschlicher Beziehungen, das offensichtlich auch auf die Beziehungen übertragbar ist, die zwei Sprachen im Kopf eines Menschen unterhalten: Der übersetzte Text (der Zieltext) nähert sich in Stil und Gehalt dem zu übersetzenden Text (Ausgangstext), indem er von ihm abrückt - jedenfalls in der Phase des Entwurfs.

Anschließend werden Ziel- und Ausgangstext miteinander verglichen: Es wird geprüft, ob und wo der nunmehr sprachrichtige und gefällige Übersetzungsentwurf noch Nachdichtung oder schon Neudichtung ist. In letzterem Fall hätte er seine Bestimmung, textgetreue Übertragung des Ausgangstextes zu sein, verfehlt. Denn Übersetzer sind Sprachmittler, sie haben sich auf ihre Rolle als Mediatoren zu "bescheiden".

Fortsetzung: Über Korrekturen
 

Mehr als nur ein Schritt: vom Textverständnis zur textgetreuen Wiedergabe